Einweihung der TERTELE Denkmal (Völkermord Dersim 1937/1938)
4. Mai 2025
Kemal Karabulut (Vorsitzende der Föderation der Dersim Gemeinden in Europa e.V. (FDG)
Rede: 4. Mai 2025 – Einweihung der TERTELE Denkmal (Völkermord Dersim 1937/1938)
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Meymane dılali, Doste Qedırgırani, sıma pero piya xêr amê!
Ma ewro naza were ju kemerede emeyme telewêle. Ne kemere je kemerune binu niya! Kemere de gırana,
Dersimra ! Kou Sıpeye Hozat´ra ama! Wenge Qome maua!
zırcayise mosmu – pakunê 38´i kerdo pohst hen ama!
Nalena! Gegane yenera zu, Az be az Qelwe ho kena ra, dırwetunê xo mısnenara Ma!
Qome marê adalet u haqiye, tedusteni, serbestiye wazena!
Sehr geehrter Herr Minister, verehrte Geistliche, liebe Bürgermeisterin, geschätzte Abgeordnete, geehrte Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Presse, Literatur, Kunst und der Zivilgesellschaft – und natürlich: liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste,
im Namen der Föderation der Dersim-Gemeinden in Europa begrüße ich Sie alle von Herzen zur feierlichen Einweihung unseres Denkmals.
wir haben uns heute hier versammelt –
vor einem Stein, der Zeugnis von der Geschichte ablegt.
Doch das ist kein gewöhnlicher Stein.
Dieser Stein ist ein Zeuge,
der das Gedächtnis eines Volkes auf seinen Schultern trägt.
Er ist nicht nur ein Erinnerungsstück –
er ist der Körper eines Rufes nach Gerechtigkeit,
ein Zeichen des Widerstands,
eine Stimme, die sich Gehör verschafft.
Er stammt aus Dersim,
vom Weißen Berg – KOU Sıpe’.
Von jenem Land, wo einst Sprachen lebten,
Lieder gesungen, Geschichten erzählt wurden.
Und dann, eines Tages, sprachen Bomben,
Feuer und Gas.
Und die Menschen wurden zum Schweigen gebracht.
Aus diesem Schweigen heraus trat dieser Stein seine Reise an.
Er kam in eine Werkstatt –
und wir legten unser Herz in ihn hinein.
Und nun steht er hier –
tausende Kilometer entfernt – in Berlin.
Hier, an diesem Ort, ist er nicht mehr bloß ein Fels.
Er ist eine Stimme: Die Stimme eines Volkes.
Was bezeugt dieser Stein?
Dieser Stein ist Zeuge des historischen Völkermords in Dersim, 1937/38.
Er ist Zeuge einer dunklen Zeit,
in die mehrere tausenden Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden,
Zehntausende getötet,
Frauen verschleppt,
Kinder zur Assimilation gezwungen wurden.
Was 1937-1938 in Dersim geschah,
war keine bloße Militäroperation.
Es war eine systematisch geplante und umfassend ausgeführte Politik der Vernichtung.
Staatsarchive, Historiker:innen, Zeitzeug:innen –
sie bezeugen es seit Jahren:
laut, unermüdlich, damit es endlich gehört wird.) Aber bis heute bleibt das Geschehene im Schatten – unbenannt, unverantwortet, ungesühnt.
Dieses Denkmal bringt uns der langen verweigerten Anerkennung ein Stück näher.
Es ruft nicht nach Vergeltung –
es fordert das, was längst fällig ist: die Wahrheit.“
Dieser Weg war nicht leicht.
Unsere Dersim-Kulturvereine und der Europäische Dachverband FDG haben dieses Projekt über viele Jahre mit großer Entschlossenheit getragen.
Wir wurden bedroht, diffamiert, angegriffen – doch wir haben nicht aufgegeben.
2015 begannen wir Gespräche mit den Fraktionen des Berliner Bezirke
Die Grünen, die Linke und die SPD zeigten sich offen und unterstützten das Projekt.
Zwei mutige Abgeordnete – Sevim Aydın (SPD) und Berna Gezik (Grüne), brachten den Antrag ins BVV Friedrichs- Kreuzberg ein.
Doch eine Gegenfront formierte sich – angeführt von der CDU.
Im Jahr 2016 stand das Projekt erstmals auf der Tagesordnung des Berliner Bezirksparlaments.
Die Sitzungen waren öffentlich und wurden von nationalistischen sowie leugnenden Gruppen gezielt genutzt. Mehrere türkische Nationalisten, die sich unter dem Schutz der CDU organisiert hatten, beteiligten sich aktiv an allen Kommissionssitzungen. Sie verteidigten die nationalistische Leugnungspolitik des türkischen Staates, attackierten das Projekt und gingen auch gegen uns persönlich vor. Zudem trugen sie ihre leugnenden und rassistischen Parolen offen ins Parlament.
Der erwartete Beschluss blieb aus.
Das Projekt wurde zurückverwiesen in die Ausschüsse für Kultur, Integration und Denkmalbehörde – ein taktischer Schritt zur Verzögerung. Doch auch das hielt uns nicht auf.
Mit wachsender Sichtbarkeit nahm auch der Druck zu.
Die türkische Botschaft intervenierte über die CDU und verbreitete gezielt die Leugnung der Ereignisse von 1938. Es wurde von einem „Aufstand“ gesprochen, nicht von einem Genozid. Doch wir ließen uns nicht zum Schweigen bringen.
Wir verteidigten nicht nur das Leid –
wir verteidigten die Realität.
Unterstützung in Wissenschaft und Politik:
Mit Partner:innen wie Martin Düspohl, Dr. Wolfgang Lenck, Gülşah Stapel, Natalia Bayer und Werner Heck haben wir die Berliner Öffentlichkeit informiert. Am 29. und 30. November 2018 luden wir zum internationalen Symposium „Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft“ ein – mit Beiträgen von unter anderen Prof. Martin Lücke, Bürgermeisterin Clara Herrmann und Integrationsbeauftragtem Günter Piening und FDG.
Sie alle setzten sich für dieses Denkmal ein – auf Basis fundierter Forschung, gesellschaftlicher Solidarität (Oder Rückhalt) und ethischer Verantwortung.
Und schließlich…
Am 27. März 2019
beschloss das Berliner Bezirksparlament –
mit den Stimmen der Grünen, der Linken, der Piratenpartei und der SPD –
die Umsetzung dieses Projekts. Trotz aller Blockaden der CDU.
Dieser Beschluss war kein politischer, es war ein Beschluss des Gewissens.
2022 – unter Leitung von Bezirksburgermeisterin Clara Herrmann –
kamen Seçil Yersel und Nadine Reschke zum Projekt hinzu.
Künstler:innen wie Ezgi Kılınçaslan,
Raisa Galofre, Martin Systermans
beteiligten sich an der künstlerischen Umsetzung.
Mit dem Entwurf der Künstlerin Ezgi Kılınçaslan
wurde die Beziehung zwischen dem Stein und dem Ort neu geformt.
Und so wurde die Reise,
die in Dersim begann,
in Berlin vollendet.
Denn genau hier
sollte dieses Trauma sichtbar gemacht werden.
Warum steht dieses Denkmal in Berlin?
Weil der Völkermord in Dersim kein bloßer regionaler Zwischenfall war,
sondern ein systematisch und strategisch geplantes Verbrechen.
Und dieses Verbrechen geschah nicht nur innerhalb der Türkei.
Deutschland lieferte Waffen, Gas und Flugzeuge
und teilte technisches Wissen.
Die Ideologie, die Atatürk zur Ikone der Moderne erhob,
fand in Berlin begeisterte Anhänger.
Und wie viele andere Verbrechen bleibt auch dieses nur sichtbar,
wenn wir es ans Licht holen.
Wenn Berlin ein Ort des Erinnerns ist,
muss Dersim auf dieser Landkarte einen Platz haben.
Nach langem Kampf konnten wir schließlich am 19. März 2025 den Grundstein legen.
Das Denkmal wurde auf dieser Grünfläche errichtet –
zwischen dem Dersim-Kultur Gemeinde Berlin
und der Amerika-Gedenkbibliothek.
Was bedeutet dieses Denkmal?
Dieses Denkmal trägt eine Botschaft, die weit über Stein und Material hinausgeht. Es ist ein Symbol für das, was geschehen ist und für das, was nie vergessen werden darf.
Das Denkmal für Dersim 1937/38 trägt genau diese Botschaft: Es erinnert an einen unvergessenen Völkermord, an die unzähligen Opfer, deren Schicksale jahrzehntelang geleugnet wurden. Es steht als Mahnung gegen die Gewalt und Unterdrückung, die das Volk von Dersim ertragen musste. Und es klagt die Leugnung und das Schweigen der Geschichte an. Es übernimmt die Verantwortung, der Erinnerung Raum zu geben und die Wahrheit öffentlich sichtbar zu machen.
Nun fordert es die Menschheit heraus, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und die Folgen von Gewalt und Unrecht zu erkennen.
Es stellt sicher, dass die Geschichte von Dersim – nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft einen Platz in der öffentlichen Erinnerung hat. Es ist Teil unserer gemeinsamen Verantwortung, diese Geschichte sichtbar zu machen und der Wahrheit Gehör zu verschaffen.
Dieses Denkmal sagt:
„Euer Schmerz wurde nicht vergessen.“
Deshalb ist dieses Denkmal
Teil unserer Gemeinschaften,
Teil der kollektiven Erinnerung an ein erlebtes Geschehen.
Der Weg zu diesem Denkmal war lang und steinig –
doch wir haben ihn erfolgreich beschritten.
Und heute stehen wir vor diesem Stein
im Namen von Widerstand, Gerechtigkeit und Sichtbarkeit.
Und nun wird dieser Stein sprechen.
Er wird Zeugnis ablegen.
Er wird Erinnerung weitertragen.
Er wird rufen:
„Dersim schweigt nicht!“
Er wird erzählen von der Erde, dem Wasser,
der Zaza Sprache Dersims.
Er wird die Stimme sein
für die verschwiegenen Geschichten eines Volkes,
dessen Vergangenheit ausgelöscht werden sollte.
Er wird die Stimme derer sein,
die keine Gräber haben.
Deren Namen vergessen wurden.
Der zwangsadoptierten Kinder.
Der verstummten Mütter.
Dieser Stein wird eine Mauer des Gedächtnisses sein
gegen die,
die uns vergessen machen wollten.
Und vergesst nicht:
Solange dieser Stein hier steht –
wird er mehr sein als ein Fels.
Er wird die Stimme eines Volkes sein.
Er wird nicht nur Zeuge der Vergangenheit sein –
sondern auch der Zukunft.
Lasst uns gemeinsam ausrufen:
Die Wahrheit wird nicht verstummen.
Was verschwiegen wurde, wird benannt.
Lügen werden nicht mit Schweigen,
sondern mit Erinnerung gebrochen.
Die Ermordeten werden leuchten –
als Mahnung,
als Aufgabe,
als Hoffnung.
Ich danke Euch allen –
die diesen Weg mit uns gegangen sind.
Die das Schweigen gebrochen haben.
Die heute hier stehen – mit offenem Herzen
und wachen Augen.
Danke.